Island – Färöer Inseln, das Ende der Reise

27. September 2024 2 Von Jonathan Spaeth

Als wir Reykjavik verlassen und Richtung Vestmannaeyar (Westmänner-Inseln) im Süden Islands aufbrechen, weht uns bald ein kräftiger Wind entgegen. Wir wollen so schnell wie möglich dort hin gelangen und diese nächste, kleine Etappe von nicht mehr als 120 Seemeilen noch vor dem nächsten Tiefdruckgebiet abschließen. Schon nach 12 Seemeilen kommen mir jedoch immer mehr Zweifel. Ist das Boot schon wieder für 30 Knoten Wind gewappnet? Bin ich es? Einige Reparaturen stehen noch aus und die Technik ist noch immer nicht zufriedenstellend repariert. Einige Schalter am Paneel haben durch eingestiegene Wellen und damit verbundene Korrosion einen Wackelkontakt. Die Positionslaterne am Bug habe ich vergessen zu reparieren und hole dies in der Dämmerung unter Segeln nach. Kurz danach treffe ich die Entscheidung. Wir drehen um. Wir segeln zurück nach Reykjavik.
Dort angekommen, sammeln wir uns und führen einige offene Reparaturen durch um dann, keine 24 Stunden später, wieder in See zu stechen. Wir segeln nah an der Küste entlang, holen uns die Freigabe der Küstenwache noch näher unter Land durch ein großes Gebiet zu segeln, welches als „Area to be avoided“ markiert ist und erhalten diese nach einigen Rückfragen auch. Das erspart uns 15 Seemeilen Umweg und bietet uns etwas mehr Landabdeckung und Schutz vor den Wellen, die unangenehm aus achtern heranwollen und mit denen die Segel immer wieder nach Luv schlagen. Axel übernimmt die erste Wache und segelt durch die Dämmerung gen Süden, während Polarlichter den sternenklaren Himmel schmücken.
Die Überfahrt, nah unter Land und dennoch mit kräftigem Wind, meistern wir ohne weitere Pannen und Probleme und erreichen am Nachmittag den Hafen von Vestmannaeyar. Auf Nachfrage erfahren wir per Funk, dass wir noch 7 Minuten warten mögen, bis die Fähre den Hafen verlassen habe. Knapp sieben Minuten später ist die einfahrt frei und wir segeln durch die, von einem Vulkanausbruch in den 70ger Jahren fast verschüttete, enge Einfahrt in den großen Hafen von Vestmannaeyar. Im Hafenbecken angekommen, erwarten uns drei Männer der Hafenmeisterei und weisen uns in einen Liegeplatz am Pier ein, der sonst primär von großen Fischereischiffen genutzt wird. Die Locals sind merklich angespannt wegen des Windes, der in 24 Stunden über die Inseln ziehen soll und mit Böen von über 50 Knoten angekündigt ist. Alle Segelschiffe müssen daher weg von den Schwimmstegen und dürfen sich gut geschützt in Lee an den Pier legen. Für gewöhnlich tut man gut daran, den Locals ein offenes Ohr zu schenken und ihre Ratschläge zu beherzigen. In diesem Fall wundere ich mich doch immer wieder, was in diesem, hervorragend geschützten Hafen, passieren soll.
Als der Wind zunimmt und die ersten Böen einsetzen, kann ich bald mein Verständnis für die Anweisungen und Besorgnis des Personals ausbauen. Genau in der Einfahrt des Hafenbeckens, in dem wir liegen, drücken nun heftige Böen aufs Wasser, wirbeln dieses auf und tragen es in die Luft. Zwar ist der Hafen bestens gegen Wellen aus jeglicher Richtung geschützt, die Schwimmstege allerdings nur schlecht befestigt und nun starkem Wind ausgesetzt. Würden nicht nur kleine Motorboote und Schlauchboote daran liegen sondern auch ein schweres Segelboot, wer weiß, welchen Schaden der Wind sonst noch anrichten könnte. Dort, wo wir jetzt liegen, droht uns jedenfalls keine Gefahr. Das stündliche Leinen fieren und dicht holen lässt sich auch gut aushalten und lediglich die starke Krängung, die der Wind bisweilen in unserer Takelage verursacht, ist ein ungebetener Gast.

Die Planung für die Nächste Überfahrt treibt uns in den zwei Tagen, die wir dort im Hafen liegen immer wieder um. Das Windfenster ist knapp, der Zeitdruck steigt. Die Angst vor starkem Wind und insbesondere großer Welle sitzt uns noch immer in den Knochen. Wir wälzen Szenarien hin und her. Irgendwann entscheiden wir, dass wir noch während starke Böen vorhergesagt sind, nah an der Südküste Islands entlang segeln wollen und nach ca. 100 Seemeilen dann in Richtung Süden gen Torshavn auf den Färöern abbiegen wollen. So würden wir zwar in der ersten Nacht starkem Wind (bis zu 37 Knoten sollen laut vorhersage in Böen aufkommen) ausgesetzt, jedoch ohne die Gefahr großer Wellen und in sicherer Entfernung von 1-5 Seemeilen unter Land segeln und mit ausreichendem Zeitpuffer in Torshavn eintreffen, bevor das nächste Tief in rund 48 Stunden über uns hinweg zieht.
Wir setzen die orangene Sturmfock noch in der Hafeneinfahrt und fahren unter Segel und Maschine die Küste entlang. Der Wind entlang der Küste ist so Böig, dass zeitweise kaum vortrieb durch das kleine Segel vorhanden ist und dann binnen weniger Sekunden das Schiff von bis zu 40 Knoten Wind auf 8, manchmal sogar 9 knoten Fahrt beschleunigt. Die gesamte Nacht bleibt wechselhaft und wir sind alle angespannt. Zum Glück kann uns nah unter Land nichts passieren. Auch bei über 50 Knoten, die wir für einen Augenblick angezeigt bekommen, nicht. Als ich am Morgen das Ruder übernehme und der Wind zunehmend einschläft, ja irgendwann gänzlich verstummt, gehe ich davon aus, dass wir bereits in einem der zwei großen windleeren Räume südlich Islands sind. Das ist der Zeitpunkt auf den ich gewartet habe. Der Zeitpunkt, an welchem wir unseren Kurs Richtung Süden abändern müssen. Ich drehe ab und fahre unter Maschine nun mit achterlichem Wind auf unser Ziel zu.
Nach 90 Minuten setzt der Wind langsam wieder ein. Nach weiteren 60 Minuten haben wir erneut über 40 Knoten Wind und eine Welle, die immer weiter an höhe aber auch Steilheit zunimmt. Als Axel das Ruder übernimmt, surfen wir bereits wieder eine Welle nach der anderen hinunter und die Sorge in mir steigt, dass sich unsere letzte Sturmerfahrung wiederholen könnte.
Ich funke die Küstenwache an und der hilfsbereite Beamte gibt uns detaillierte Wetterinformationen des Englischen Wetterdienstes per Funk durch. Er empfiehlt uns, dass wir 30 Seemeilen Richtung Osten segeln. dort sollte der Wind von 20-25m/s auf 0-6m/s abschwächen. Ich habe also zu früh in Richtung Süden abgedreht! mit achterlichem Wind, immer wieder die Wellenkämme hinunter surfend, versuchen wir Stück für Stück auch Fahrt in Richtung Osten oder zumindest mal Südosten zu machen. Zu unserem Glück erreichen wir rund drei Stunden später, nur 10 Seemeilen östlich unserer Funkposition, den windleeren Raum. Was bleibt, und uns die nächsten zwei Tage auch weiterhin durch den Schwachwind begleitet, sind um die 7 Meter hohe Wellenberge, die erstaunlich Spitz aber völlig ungefährlich für eine unruhige Fahrt unter Motor sorgen. Der Wind hingegen, bleibt uns weitestgehend fern und nach mehr als zwölf Stunden unter Motor bergen wir auch das Sturmsegel und setzen Arbeitsfock und Großsegel.
Nach knapp drei Tagen erreichen wir Torshavn, rund zwölf Stunden bevor der nächste, stärkere Wind aus Süden eingesetzt hätte. Wir alle sind erschöpft und erleichtert zugleich. Der schwierigste Teil der Reise ist überstanden, es bleibt noch die Nordsee zu queren. Als neue Herausforderung kommt jedoch Andres Entscheidung hinzu, die Crew vorzeitig zu verlassen. Schon am nächsten Tag würde er abreisen und Axel und ich fangen an, alternative Pläne miteinander durchzuspielen. Segeln wir zu zweit weiter? Finden wir einen neuen Mitsegler, der an Andres Stelle mit nach Deutschland segeln würde? Wie gehen wir mit dem Zeitdruck um? Wollen wir überhaupt noch segeln? Wenn wir nicht wollen, was hält uns davon ab, das Boot anderweitig zu überführen oder in Torshavn zu lassen?
Es kristallisiert sich Stück für Stück heraus, dass wir nicht weiter segeln würden. Wir wollen die Freude am Segeln nicht verlieren, ich möchte zu meiner Familie zurück, wir wollen unseren Urlaub genießen und zu zweit ein Boot ohne Unterbrechung nach Deutschland zu überführen erscheint aktuell weniger ein Genuss als vor der Reise.
Es folgt die Entscheidung, dass das Boot in Torshavn zu belassen, für uns eigentlich nicht in Frage kommt. Es verbleiben die zwei Optionen, das Schiff per Decksfracht nach Hirtshals zu verschiffen oder eine Crew zu engagieren, die es zurück segelt.
Den gesamten Prozess von der Ankunft in Torshavn bis zum Einfliegen der Crew durchlaufen wir innerhalb von vier Tagen. Eine unglaublich kurze Zeit. Wir sind aber froh, eine so gute, für uns passende Möglichkeit gefunden zu haben, um die Reise mit positiven Gefühlen abzuschließen.
Nach einer dreistündigen Einweisung des Profi-Teams verlassen wir das Schiff. Noch ist die Reise des Schiffes nicht vollendet – dafür aber unsere. Wir fliegen von Torshavn nach Deutschland.