Grönland – Island, Ankunft in Reykjavik

Grönland – Island, Ankunft in Reykjavik

7. September 2024 2 Von Jonathan Spaeth
Als der Wind anfängt aufzufrischen, kommen alte Gefühle von Angst, Überlebenskampf und Sehnsucht nach dem Ankommen wieder hoch. Immer wieder sage ich mir, „es sollen nur knapp dreißig Knoten Wind werden“ oder „Wir sind sogar aus dem Gebiet mit 33 Knoten schon raus und nur noch 200 Seemeilen bis Reykjavik“. Die Anspannung merkt mir aber jeder an. Selbst Axel, der lange mit Seekrankheit zu kämpfen hatte, läuft zur Höchstform auf, kein Anzeichen von Seekrankheit, jede Schicht wird angetreten. Erst um 23 Uhr des Folgetages, rund 100 Seemeilen von Reykjavik entfernt, nimmt der Wind dann doch merklich zu. Wir laufen unter Fock gegen 25, dann 30 Knoten am Wind. Der Wind sollte doch eigentlich achterlich sein! Als ich für meine Schicht um zwei Uhr nachts an Deck komme, haben wir 30, in Böen 35 Knoten Halbwind, Tendenz zunehmend und auf achterlich drehend. Die Wellenberge werden stunde um stunde höher und steiler. Immer wieder kommen wir gefährlich ins Surfen und un ser Bug bohrt sich in, beziehungsweise unter die Welle vor uns hinein. Die Wassermassen, die in solchen Momenten über mich hereinbrechen, nehmen die Sicht, drücken mich voller Kälte in den Lifebelt, während ich versuche mich mit dem eingehakten Arm festzuhalten und spülen parallel das Boot von vorn bis achtern ein mal durch. Wir werden dabei wie ein Wasserball durch die Gegend geschubst, beugen uns manchmal in voller Fahrt weit seitlich über, die Reling versinkt im Wasser. Wenn die Welle vorüber ist, liegt das Boot kurz wieder stabil im Wasser oder dreht sich in einer Böe rasch in den Wind. Als es gegen 5 Uhr beginnt zu dämmern und ich die Wellenberge zunehmend sehen kann, beginne ich taktischer abzulaufen. Die Welle baut sich immer weiter auf und schafft langsam eine bedrohliche Situation für Boot und Crew. In Böen messe ich bis zu 47 Knoten Wind. Als ich völlig durchnässt um 6 Uhr das Ruder und den Überlebenskampf an Deck an Axel übergebe betrete ich das Schl achtfeld unter Deck. Irgendwo läuft Diesel aus, es stinkt fürchterlich unter Deck und insbesondere im Bad. Der Inhalt aller Schubladen breitet sich auf dem Salonboden aus und fließt mit einem kleinen Bach bei jedem mal, wo wir in die andere Richtung krängen, von der einen Seite auf die Andere. Immer mehr Dinge, Essen, Brillen, AirPods, Kochzubehör und was sonst noch existiert, fliegt kreuz und quer durchs Boot. Nach jedem Treffer einer besonders großen, harten Welle, vergewissern wir uns, dass unsere Mitsegler an Deck noch dort sind wo sie sein sollen. Voller Angst blicke ich erschöpft in solchen Momenten auf. Eingekeilt hinter dem Salontisch, liegend in „der Suppe“ aber zu schwach wirklich etwas zu ändern. Die Bilgepumpe jedenfalls war schon länger ausgefallen – die einzige Möglichkeit zu Lenzen war mit einem Ösfass, mit dem wir hin und wieder die 20-30 Zentimeter Wasser-Diesel-Gemisch im Bad versuchten in Griff zu bekommen. Statt den erwarteten 3 Stunden wurd en über 12 Stunden Starkwind draus. Zwar drehte der auf Südwest (wir konnten also vor dem Wind laufen), dafür blies er aber mit durchschnittlich 40 und in Böen zeitweise bis zu 50 Knoten auf uns ein. Erst mit dem Einlaufen in die Bucht vor Reykjavik nahm er spürbar nach und die Welle ging auf ein ungefährliches Maß zurück. Die Schadensaufnahme im Nachhinein: Diesel an und in allem, was wir im Bad oder dem Salonboden hatten. 3 Paar Schuhe kaputt, Windfahne gebrochen, Gestänge der Windfahne verbogen, Sprayhood durch Brecher aus der Verschraubung an Deck gerissen, Segel hier und da beschädigt, Elektronik durch Salzwasser defekt und mit Kriechstrom auf diversen Geräten. Radio defekt, Bilde Pumpe defekt, Polster dreckig und/oder nass… Ich erspare euch weitere Details. Jedenfalls hielt die meine „Ich will nicht mehr“ Stimmung auch im Hafen noch für einige Stunden an und selbst jetzt, wo das Schiff wieder halbwegs geputzt und in Ordnung gebracht ist, tue ich mir schwer in die Nacht hinein zu segeln. Die Angst vor Wind und Welle bleibt wie ein Ölfilm an allem kleben. Was am Ende aber zählt – wir alle sind gesund angekommen, das Boot schwimmt noch. Was kommt als nächstes? Mal schauen. Wir tasten uns sehr vorsichtig in Richtung Europa vor, segeln auf die „Westmänner“, eine kleine Inselg ruppe im Süden Islands. Ob wir es rechtzeitig nach Deutschland schaffen? Können wir aktuell nicht einschätzen. Schlimmstenfalls werden sich Möglichkeiten auftun, das Schiff irgendwo auf halber Strecke über den Winter zu lassen.
Ein Bildernachtrag der Bilder ab Ostgrönland folgt sobald wieder mehr Energie dafür da ist.