Nuuk bis Nanortalik – Rennen in den Süden in nur vier Tagen
Bevor wir Nuuk verlassen, bunkern wir noch einmal Essen, Wasser, Diesel, Motoröl und was sonst noch alles bis Island benötigt werden könnte. Für das Wasser fahren wir zur nahe gelegenen Fischfabrik und freuen uns, dass wir letzten Endes den dort liegenden Schlauch mit Frischwasser verwenden dürfen um Tanks, Kanister und Flaschen zu füllen. Auch beim Diesel tanken an der kleinen Tankstelle nördlich des Hafens habe wir Glück. Nachdem Peter und mehrere Grönländer, die wir hier und da kennen gelernt haben, uns empfohlen haben nicht ohne Gewehr nach Ostgrönland zu reisen, sind wir auf der Suche nach einem möglichst günstigen Gewehr, dass uns vor Eisbären schützt. In der Tankstelle jedenfalls, werden wir fündig. Der nette Verkäufer meint auf Nachfrage, er hätte da noch etwas mit dem notwendigen Kaliber. Eine alte „Winchester“. Für 800 Kronen (105 Euro) könnten wir sie haben und für 50 Kronen eine Packung Munition oben drauf. Er erklärt uns noch kurz, wie man die Waffe sichert, entsichert, lädt und dass wir nie Munition im Lauf haben sollten, wenn wir nicht schießen wollten. Einmal die Mastercard ans gerät halten und schwups sind wir Besitzer von 110 Litern Diesel, einer Jagdwaffe für Großwild und 20 Schuss Munition. Absurd. Insbesondere, wenn man bedenkt, dass keiner von uns an Bord gedient hat, keiner Erfahrungen mit dem Umgang mit einer Waffe hat und erst recht keiner einen Waffenschein hat. Wir werden die Waffe jedenfalls in Ostgrönland weitergeben oder vergraben, das steht für uns fest. Für ein Abschlussbild vor dem höchsten Berg Nuuks umrunden wir noch einmal die Stadt und posieren für unseren Freund Peter. Danach geht es gen Süden. Wir segeln und Motoren 34 Seemeilen, bis in den Abend hinein. Dann kommen wir spät am Abend in selbiger Ankerbucht an, in der ich schon vor wenigen Tagen mit meiner letzten Crew lag. Der Anker hält erneut beim ersten Versuch. Auch Dorsch haben wir schon nach wenigen Sekunden wieder an der Angel. Größer noch als alle bisher gefangenen – zu groß jedenfalls für uns drei (Axel isst keinen Fisch). Kurzerhand wird von Wraps auf Salzkartoffeln mit Fisch umgeplant. Die Nacht bleibt herrlich ruhig. Als wir aufstehen, ist alles in tiefem Nebel versunken. Es regnet sogar – ein ungewöhnliches Ereignis in Grönland, wo es, vom Nebel abgesehen, kaum Niederschlag und Luftfeuchtigkeit gibt. Der Wind weht nun gegen an – und wie die letzten Tage, ja fast schon Wochen, laufen wir unter Motor und Großsegel durch die enge Inner Route gegen den Wind an. Am späten Abend kommen wir wieder an das kleine, bunte und gut gepflegte Dorf mitten im Sund. Machen dort an der Pier fest und gehen spazieren. Es stört mich nicht im geringsten, dass ich an den selben Orten schon vor wenigen Tagen war. Ich genieße das bekannte, entdecke neue, bislang unbekannte Details. Entspanne und genieße. Wir sind ohnehin aktuell wieder mit ambitionierten Etmalen unterwegs, verlassen den Hafen früh und kommen spät an. So auch am nächsten Morgen, als mein Vater Axel, Andres und Dominik zusammen um 5 Uhr die Leinen lösen und in Richtung Meer fahren. Während ich schlafe. Fühlt sich ungewohnt schön an, denke ich als ich mich in meiner Koje auf die andere Seite drehe und kurz mit meinen Kindern telefoniere bevor das Netz wieder abbricht. Erst spät am Vormittag stehe ich gut erholt auf und wechsle Axel, der noch immer mit Seekrankheit zu kämpfen hat, bei seiner Wache ab. Der Nebel ist dicht, zu dicht um entspannt zu bleiben. Wir starren bei 7 Knoten Fahrt in den Nebel und versuchen die Eisberge, die zu klein für das Radar sind, rechtzeitig zu erkennen. Den ganzen Tag über bleibt die graue Suppe dicht über dem Wasser, die Sicht variiert zwischen 50 und 300 Metern. Der Horizont bleibt ungesehen. Erst um 23 Uhr erreichen wir, nach 18 Stunden unter Motor, eine kleine, sehr gut vor Wind aber offensichtlich kaum gegen Eis geschützte Bucht und lassen mit dem letzten bisschen Lichtschimmer den Anker sinken. Zum Glück hält dieser sofort. Die bucht, die lediglich ein paar hundert Meter im Durchmesser und eine viel schmalere Einfahrt hat, ist allerdings mit mindestens 20 Eisbergen gefüllt. Zum Glück liegen die Eisberge in Lee (der Wind abgewandten Seite) und wir ankern so nah wie möglich unter Land in Luv. Wir sollten also sicher sein. Der Plan geht auf und wir liegen ohne weiteren Problemen die Nacht über in der kleinen Bucht, bis wir wieder um 5 Uhr aufstehen und uns zwischen den Eisbergen hinaus aufs offene Meer hindurch schlängeln. 120 Seemeilen wollen wir heute zurücklegen und das Kap Farvel zwei tage schneller durchqueren als wir für den Weg gen Norden gebraucht haben. Dank dem neu einsetzenden Nordwind mit 20, bald 30 und in der Spitze bis zu 35 Knoten, eine durchaus mögliche Distanz – selbst unter Fock. Denn aus Sicherheitsgründen wollen wir kein Großsegel setzen um besser dem Eis ausweichen zu können, sollte welches vor uns aus dem Nebel erscheinen. Nach 60 Seemeilen erreichen wir das Kap Desolation und fahren in einen engen Sund ein, der uns schütz vor Wind und Welle bietet während südlich des Kaps bis zu 47 Knoten Wind wehen. Kaum sind wir zwischen den hohen, dunklen und braunen Felswänden auf der Inner Route, reist der Nebel plötzlich auf. erst noch mit Nebelkuppen über den Bergen, dann bald vollständig unter blauem Himmel fahren wir unter Fock durch die Fallwinde und Düseneffekte, die es uns auf dem Weg nach Nuuk fast unmöglich gemacht haben voran zu kommen. Nun nützen sie uns. Als der Wind irgendwann nachlässt und wir alle an Wärme gewinnen, beginnt das Trocknen der Kissen und Handschuhe. Wir alle duschen uns mit eiskaltem Wasser während wir an Eisbergen vorbei fahren und waschen Wollwäsche, die innerhalb weniger Stunden fast vollständig trocknet. Immer wieder nimmt der Wind stark zu und flaut dann jäh ab. Immer wieder setzen wir die Fock oder rollen sie ein um unter Motor schnell genug zu unserer Ankerbucht zu gelangen. Schnell genug schaffen wir es – jedoch auch erst wieder mit dem letzten Sonnenstrahl. Der Wind weht sanft aus der verkehrten Richtung – Südost. Wir haben doch Nord oder Nordwestwind! Jedenfalls nicht in dieser Bucht. Wir fahren den Anker ein und freuen uns, dass er gut hält. Es bleibt ein mulmiges Gefühl. Wenn der Wind gegen 9 Uhr morgens wie gewohnt auffrischt und aus der anderen Richtung weht, haben wir kaum genug Platz um uns um unseren eigenen Anker zu drehen. Wir stellen den Ankeralarm auf einen möglichst engen Radius. Jede Windänderung würde uns wecken. Schon gegen 1:30 Uhr Nachts geht der Ankeralarm zum ersten Mal. Der Wind hat in der Tat gedreht. Der Anker scheint zu halten, die Leine mitsamt Boot richtet sich in Richtung der offenen Bucht aus. Ich lege mich wieder hin, bleibe aber angespannt. Kurze Zeit später ist es dann so weit. Der Ankeralarm geht erneut. Als ich an Deck komme, treiben wir bereits entlang der Bucht zwischen den Felswänden auf beiden Seiten. Ich stehe nur in Hose und Shirt an Deck. Es ist eiskalt. Immer schneller bewegt sich das Schiff in Richtung des offenen Meeres. Als Andres und Dominik an Deck kommen, sind wir bereits einige hundert Meter abgetrieben während ich unter Motor das Schiff davon abhalte an einen der Felsen zu stoßen. Andres holt den Anker, der keinerlei halt mehr hatte, wie ein Spielzeug ein. Wenige Minuten später werfen wir ihn erneut, diesmal deutlich näher an Land. Erst ruckt er und schlittert über den blanken Felsen, dann verhakt er sich irgendwo plötzlich und hält. Wir alle sind froh, dass nichts weiter schlimmes passiert ist – misstrauen aber dem Ankergrund sehr und beschließen daher, dass wir Ankerwache gehen. Es bleibt also immer einer von uns wach und überwacht, aufs Display von Axels Handy starrend, unsere Position vor Anker. Immer wieder kommen kräftige Fallwinde und Böen auf, die das Boot von links nach rechts und rechts nach links drehen. Der Anker hält. Wir sind aber auch nur 10, maximal 20 Meter vom steinigen Ufer entfernt. Es muss alles gut gehen. Es geht alles gut. Mit Kaffeeduft in der Nase und frisch gebackenen Brötchen auf dem Tisch schäle ich mich gegen 9:30 aus dem Schlafsack. Langsam raffen wir uns alle nach und nach auf und kommen zum Frühstück, dem ersten richtigen seit Tagen, am Tisch zusammen. Danach wird das Boot vorbereitet, Diesel nachgefüllt, gespült. Wir bergen den Anker und stellen fest, er hat sich wirklich nur an einem Felsen verhakt, hatte ein bisschen Seegras gefangen und glücklicher Weise Böen von 20, 25 Knoten abfangen können. Kein Ankern wie im Lehrbuch jedenfalls. Wir fahren aus der Bucht aus. Werden anfänglich von 25-30 Knoten achterlichem Wind begleitet, dann abnehmend bis auf 10 Knoten achterlich. Die Dünung ist groß und wir werfen den Motor an. Das gewohnte Rattern, der gewohnte Lärm. Wir rutschen unbeholfen auf den Wellenbergen herum und hinab als seien sie aus Eis. Ganz allmählich nimmt die Dünung ab, als wir uns Nanortalik, der südlichsten Stadt Grönlands nähern. Dieses Mal konnten wir ein paar Tage gut machen gegenüber unserem Plan und werden die nächsten Tage im Süden und Osten des Landes verbringen. Vielleicht schaffen wir es ja sogar eine kleine Wanderung zu unternehmen, wer weiß.