Island – Grönland, Part III, Appilatoq & Nanortalik
In der Nacht frischt der Wind auf bis zu 35 Knoten auf. Anfangs achterlich, je näher wir unserem Ziel kommen immer mehr auf Halbwind drehend. Es ziehen immer größer werdende Wellen über unser Deck hinweg und wir laufen bei Dunkelheit nur unter Top und Takel (ohne Segel, für die Nichtsegler unter uns) mit mehr als vier Knoten Fahrt aufs Ziel zu. Die Meilen bis zur Küste schwinden immer weiter während Jojo und ich uns im Stundentakt in der Kälte und dem strömenden Regen an deck abwechseln um Ausschau zu halten und den Schimmer eines Eisberges oder Growlers zu erkennen, sollte sich einer verirrt haben. Ein wirklich schwieriges unterfangen bei tiefster Dunkelheit und Schaumkronen um uns herum. Als es gegen 5 Uhr dämmert und wir in die Einfahrt des Prins Christian Sunds gelangen, schöpfen wir beide neue Energie durch die nahende Ankunft und verbringen die Zeit an Deck zu zweit, während wir an den ersten Eisbergen vorbei fahren. Nur einige Wenige, größere Eisberge liegen in Landnähe um uns herum. Kein Eis auf See zu sehen. Sicher fahren wir in den Sund ein und gehen längsseits bei einer 20 Meter Motoryacht, die an der verlassenen Wetterstation nahe des Kap Marvel in der Einfahrt zum Sund auf uns wartet. Die Einfahrt ist eng und es liegen Felsen im Wasser zu beiden Seiten der Yacht. Als das Boot sicher vertäut ist, fallen wir alle in die Koje und erholen uns für wenige Stunden, denn die Motoryacht will schon drei stunden später weiter fahren. Als Bernd und ich gegen 9 Uhr aufstehen und an Deck gehen um den winzigen Hafen zu verlassen um dem starken Schwell zu entgehen, kommt die Besitzerin der Gecko an Deck. Los wolle man zwar, bevor wir aber ablegen mögen wir doch bitte aber noch zum Frühstück kommen. Das lassen wir uns nicht zwei mal sagen und betreten die Säle der 20 Meter großen Yacht, setzen uns an den fremd wirkenden Tisch, eingedeckt mit Stoffservietten, Tischsets und allem was für eine sehr gepflegtes Frühstück dazu gehört. Danach verabschieden wir uns und gehen getrennt, doch den selben Weg weiter Richtung Westen. Ein Crewmitglied der Gecko sendet uns im Nachgang einige Drohnenbilder, die sie im vorbei fahren gemacht haben, während Jojo gerade seinem Hobby – Wingfoilen – nachgeht. Eisberg und Gletscher inklusive. Wir spekulieren beim Weiterfahren noch darüber, ob er wohl der erste Wingfoilende in Grönland gewesen sei. Am Abend kommen wir in dem kleinen Dörfchen Appilatoq an und machen in fünfter Reihe im Päckchen von Segelyachten fest. Ein befremdlicher Anblick. Es liegen insgesamt sieben Boote in dem Dörfchen mit 80 Einwohnern. Das sind so viele Segler, wie wir 2015 in über sechs Wochen insgesamt gesehen haben. Wir dürfen gratis in der Schule duschen und Wasser vom Reservoire holen. Der Supermarkt öffnet am nächsten Morgen und bietet alles, was das Herz begehrt. Dazu gehören neben frischem Gemüse und Obst auch allerlei nützliches Equipment für alle Lebenslagen. Vom Kinderfahrrad, über Polar-Ausrüstung, Hausbedarf bis hin zu frisch aufgebackenem Brot, süßen Stückchen und – Eis! Zum Dank für unsere Gastgeber, die kostenfreie Dusche und alles, spenden wir etwas Geld an die kleine Schule, in der vier oder fünf Kinder gerade zum Unterricht gehen. Ansonsten unterhalten wir uns die meiste Zeit mit unseren Bootsnachbarn und tauschen uns über die aktuellen Neuigkeiten, Wetter- und Eisinformationen an Ost- und Westküste sowie Pläne und Geschichten der Reisen aus. Beim Verlassen Appilatoqs wollen wir noch rasch einen Abstecher zum Gletscher machen. Nur Zehn Seemeilen, schätze ich Ihn entfernt und anhand der Größe der Eisberge in der Bucht hoffen wir auf eine einzigartige Kulisse und eine hohe Abbruchkante des Gletschers. Vielleicht würden wir ihn ja sogar kalben sehen? Nach drei Stunden Fahrt kommt der Gletscher in Sicht. Die Szenerie ist hervorragend und es kommt sogar ein wenig Sonnenschein durch. Leider werden wir aber von starken Fallböen mit bis zu 35 Knoten Wind immer wieder sehr stark ausgebremst und beschließen letzten Endes, dass wir umdrehen und Kurs auf Nanortalik, die erste große Stadt in Süd-West Grönland, setzen. Wir durchfahren stunden Lang den tiefen Sund mit steilen Bergen zu beiden Seiten und immer wieder aufkommenden, kleineren Eisbergen und Schollen (Growlern), bis wir nach einigen Stunden das offene Meer der Westküste erreichen und uns entlang der Küste gen Norden bewegen. Mit dem letzten Sonnenschein kommen wir gegen 23 Uhr in Nanortalik an und gehen bei einer amerikanischen Alu-Yacht längsseits. Nach dem obligatorischen Anleger an Bord gehen Jojo und ich in die Stadt, trinken ein Bier in der, zu unserer Verwunderung, noch offenen Bar. Eine seltsame Mischung aus jungen Leuten, die hier ihre Mitternachtsbiere an einem Montag trinken. Alte und junge Menschen sitzen im Raum verteilt an unterschiedlichen Tischen. Manche in geselliger Runde, andere völlig allein. Ein wirkliches „zusammen“ scheint es kaum zu geben. Um 0100 Uhr schließt die Bar und wir unternehmen noch einen kleinen Spaziergang durch die Stadt. Es gibt befestigte Straßen, fließend Wasser in allen Häusern, Supermärkte, Krankenhäuser, Wohnblocks (wenn auch kleiner als in den 80gern bei uns) – eben alles, was man von einer westlich zivilisierten Statt erwarten würde. Gerade als wir zum Boot zurück kommen, sehen wir ein grünes Schimmern am Himmel hinter den Booten. Polarlichter. Erst stark und sehr zentriert, dann immer diffuser. Es ist der 13.8. – die Nacht der Perseiden. Entsprechend kommen einige Sternschnuppen hinzu. In Grönland erlebt man an einem Tag eben mehr als in Deutschland in einem Jahr – ist mein Eindruck als wir gegen 2 Uhr Nachts zu Bett gehen. Um 9 Uhr klingelt der Wecker. Wasser in Kanistern und Flaschen holen, Diesel Tanken, Essen bunkern. Bei der örtlichen Polizei einklarieren, ein paar Dinge an Bord in Ordnung bringen und ein paar Bilgen trocken wischen. Dann geht es auch schon wieder weiter. Weiter in Richtung Norden, weiter Richtung Nuuk, wo uns am 19.8. ein Crewwechsel bevorsteht. Wir haben zwar noch einige Tage vor uns, der Wind scheint uns aber weiterhin schlecht gesonnen und soll an den meisten Tagen mit 20 Knoten aus Nord wehen. Die Tage, an denen wir nur wenig Wind haben, sollten wir also so gut wie möglich nutzen.
Lieber Jonathan, nach dem Blick auf Windy sind wir erstmal sehr froh, dass ihr alle lebt!
Kein Mast und kein Schotbruch!
Lg
Ursula und Dirk